Mittwoch, 15. April 2015

4) Wir unterbrechen das Programm für eine wichtige Meldung:

Gestern war der große Tag!!! (!!!1elf.)
Meinewenigkeit, mein Liebster (für den ich mir noch ein blogtaugliches Pseudonym überlegen muss, denn sowohl "Freund" als auch "Mann", "Lebensabschnittpartner" oder gar "Männchen" sind wenig befriedigende Alternativen), und ein weiterer Studienkollege hatten gestern unsere Diplomprüfungen!
Und wir haben sie mit Bravour gemeistert!
Also mit Auszeichnung bestanden!
Das heißt soviel wie... "Einser", I guess?
Aber "Mit Auszeichnung" hört sich viel prestigeträchtiger an!

Und ich muss sagen (und ich denke, damit spreche ich nicht nur für mich, sondern für alle die schon vor uns ihre Prüfung hatten): 
Wir sind stolz darauf!

Aus diesem Grund widme ich den heutigen Blogeintrag dem Satz, den ich nach "Und was macht man dann damit?" am zweitmeisten hasse.
Bitte Applaus für die unangebrachteste aller Antworten auf die Aussage:
"Ich hab's geschafft! Ich habe einen 1er/2er/3er, juhu!"

"Na Hauptsache positiv!"


*Zorngestalt* / *angry mode*

NEIN!!! Nein, nein, NEIN!!!


Es gibt nämlich nur eine äußerst limitierte Anzahl an Ereignissen, bei welchen diese Aussage gerechtfertigt getätigt werden kann:

  • Man schafft eine positive Note in einem Fach, das einem absolut nicht liegt. *
  • Man schafft eine positive Note auf eine wirklich schwere Prüfung, zu der man vielleicht sogar schon zum wiederholten Mal antritt. **
  • Man schafft eine positive Note auf eine Prüfung, für die man zu kurz, zu wenig, gar nicht, oder falsch gelernt hat! ***
  • Man schafft eine positive Note nach einem Todesfall oder anderweitig tragisch emotionalen Vorfall. ****
  • Man schafft eine positive Note auf ein Fach, das für den weiteren Verlauf seines Studiums/Lebens absolut unwichtig und nebensächlich ist. *****
  • Man füge hier den einen, wirklich, wirklich guten Grund ein, den ich in meiner spontanen Aufzählung vergessen habe.


* Im Gymnasium waren das bei mir Mathe und Französisch.
** Auf der Uni nimmt diesen Platz bei mir die Lateinergänzungsprüfung ein. Zuerst 5er, dann 3er!
*** Ich bin an einem Montag draufgekommen, dass ich mich in meinem Studienabschnitts-Tetris verrechnet habe und mir eine Note fehlt! Panisch habe ich mir eine Vorlesung ausgesucht, dem Lehrveranstaltenden geschrieben, mir den Stoff besorgt und am Mittwochabend habe ich die Prüfung geschrieben. Die schlimmsten 3 Tage meines Lebens. Aber ich habe einen 3er geschafft!
**** Ist bei mir glaube ich glücklicherweise nie zeitgleich eingetreten.
***** Mathe. Mathe? Mathe!

Ihr seht also, in solchen Situationen ist jeder froh, wenn er einen 4er, oder sogar 3er schafft, weil die Erwartungshaltung davor durchwegs negativ war. Diese Situationen sind aber (hoffentlich) in den meisten Fällen die Ausnahme! Oder vielleicht steht das Verhältnis zwischen den "Schaff ich locker!" und den "Hauptsache positiv!" Prüfungen sogar bei 50:50.
Das bedeutet aber, dass man bei 50% seiner bestandenen Prüfungen den Satz "Hauptsache positiv!" NICHT hören will!

"Hauptsache positiv!" sagt nämlich Leuten, die
  1. gut sind, in dem was sie tun
  2. Spaß daran haben und
  3. wirklich viel dafür gearbeitet oder gelernt haben

unterschwellig folgendes:

  1. Wieso kannst du nicht einfach mal scheiße sein?
  2. Ich versteh nicht, wieso du das so gerne machst und auch noch gut darin bist, du Spinner! Werd' normal!
  3. Du hättest auch einfach weniger lernen, dir weniger Sorgen machen und prinzipiell auf alles scheißen können, weil ein 4er reicht ja auch. Du Streberschwein.


Verzeiht bitte die Kraftausdrücke.

Aber lasst mich das Ganze anders aufziehen:
  • Wollt ihr von einem Arzt operiert werden, von dem ihr wisst, dass er in seinem ganzen Studium nur 4er hatte, weil er sich dachte "Na Hauptsache positiv!"?
  • Wollt ihr in einem Flugzeug sitzen, dessen Pilot in der Ausbildung die Geisteshaltung "Na Hauptsache positiv!" hatte?
  • Wollt ihr eure Haare in einem Friseursalon gemacht bekommen, in dem alle Angestellten grade mal so durchgekommen sind?
  • Wollt ihr euer Tattoo oder Permanent Make-up von jemandem gestochen bekommen, der die Ausbildung gerade so mit Bauchweh bestanden hat?
  • Wollt ihr in einem Restaurant essen, in dem die Köche und Kellner zwar positiv waren, aber eigentlich keine Ahnung haben von dem was sie tun?


NEIN. Ihr wollt GUTE Leute, die mit Leib und Seele dabei sind. Die lieben was sie tun. Die sich ihren Erfolg hart erarbeitet und verdient haben.
Positiv zu sein bedeutet nämlich in den meisten Fällen, dass man etwas mehr als die Hälfte geschafft hat. Das bedeutet aber leider auch, dass man von etwas weniger als der Hälfte KEINE AHNUNG HAT!

Bei mir hat das schon in der Volksschule begonnen. Wenn ich stolz mein gutes Zeugnis den Teilen meiner Familie präsentiert habe, die gute Noten nur aus dem TV kannten, kamen sofort Meldungen wie:
"Jetzt bist du ja noch gut, aber warte erst mal bis du ins Gymnasium kommst, dort wird alles SOOO schwer werden!" (Nein, aber egal.)
"In meinem Zeugnis waren immer so viele 4er, dass alle gesagt haben, ich bring so viele Sesseln mit nach Hause. (Weil die Zahl 4 umgedreht aussieht wie ein Sessel. Ich hasse diese Aussage.) Und aus mir ist auch was geworden."
Ja, richtig. Aus dir ist WAS genau geworden...? (*Bitchslap*!)

Man sieht also, es fängt schon in der ersten Schulstufe damit an, dass man gesagt bekommt: 
"Du musst nicht gut sein, du musst nur durchkommen."

Ganz interessanter Fakt an dieser Einstellung ist auch noch die Gender-Frage (ha-ha, ich hab's getan! Gender!!!). Ich weiß nicht, wie viele unzählige Male ich nämlich schon Eltern erlebt habe, die ihren Töchtern gegenüber mehr Ehrgeiz zugesprochen haben als ihren Söhnen.
  • Wenn die Tochter gut in der Schule ist, ist das selbstverständlich. Erwartungsgemäß. Mädchen sind Streberinnen. Es wäre äußerst verdächtig, wenn es nicht so wäre!
  • Wenn der Sohn in der Schule schlecht ist, wünschen sie sich hauptsächlich, ihn nur irgendwie durchzubekommen.
  • Wenn der Sohn in der Schule in manchen Fächern gut, in manchen schlecht ist, wünschen sie sich hauptsächlich ihn irgendwie durchzubekommen.
  • Wenn der Sohn in der Schule gut ist, ist das außergewöhnlich und komisch. Und dann muss man ihn auch nur irgendwie durchbekommen! Weil es könnte sich ja jeden Tag ändern.

Komisch nur, dass die intelligentesten Menschen, die ich bis jetzt in meinem Leben kennenlernen durfte zum Großteil Männer waren...?!

Im Gymnasium ging's dann weiter:
  • Es gab Fächer, in denen war ich einfach gut.
  • Es gab Fächer, die mich wirklich interessiert haben, für die das Lernen eine interessante Aneignung von Wissen war, und kein gezwungenes Auswendiglernen von Fakten.
  • Es gab Fächer, in denen wäre ich besser gewesen, wenn ich mich mehr angestrengt hätte, aber ich hatte einfach keine Lust dazu.
  • Und es gab Fächer, die mich den letzten Nerv gekostet haben, egal ob ich mich angestrengt und gelernt habe, oder aber nicht.

Genau auf diese letzte Art von Fächern trifft der Satz zu "Na Hauptsache positiv!".
ABER: Man bekommt diesen Satz ständig unreflektiert an den Kopf geworfen, egal ob die Ausgangsposition ein "Juhu, wieder ein 1er!" oder "Zum Glück den 4er bekommen." ist.

"Ich habe einen 1er auf meine Deutschschularbeit bekommen!"
"Na Hauptsache positiv."
Äh... Nein?

Lange Rede, kurzer Sinn:


Es gibt Situationen, in denen der Satz "Na Hauptsache positiv!" durchaus angebracht ist. Nach einem erleichterten Seufzen und einem Bier im Pub ist der Abend gerettet.

Es gibt aber auch Situationen, in denen dieser Satz als unterschwellige, durchaus bösartige Beleidigung aufgefasst werden kann.
Die Adressaten dieser Aussage möchten ihn vielleicht aus diversen Gründen nicht hören, weil er ihre harte Arbeit, das viele Lernen, ihren Stolz und ihre Zufriedenheit in 3 Wörtern zerstört. Zunichte macht. Vergewaltigt, zerstückelt und in schwarzen Plastiksäcken verscharrt.

Dank eifriger LeserInnenkommentare ergänze ich folgende Sätze:


  • Man hat zwar eine positive Note, aber hätte besser sein können. Man ärgert sich über seine Fehler. Dann hört man: "Was regst dich auf, Hauptsache positiv."
  • Man freut sich über seine gute Note und das Gegenüber sagt: "Ah. Das war ja eh klar!"

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit, und

Shrew you!

Erzblume.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen